Wenn Beleidigung Satire genannt wird


 

Wenn es keine Tabus mehr gibt und nichts mehr heilig ist, wenn alles gesagt werden darf, weil es nichts mehr gibt, was man nicht sagen sollte, braucht man auch keine Moral mehr.

Dem scheinen alle die zuzustimmen, die sich momentan mit dem inkriminierendem Text von Jan Böhmermann identifizieren, der den türkischen Staatspräsidenten in einer schon lange nicht mehr da gewesenen Form mit einem in jeder Hinsicht primitiven Vokabular beleidigt.

Das sogenannte „Schmähgedicht“ ist dabei ohne jede politische Substanz und einfach nur „dümmlich“. Es fehlt ihm jeder hintergründige Witz, den sonst ja Satire in Anspruch nimmt.

Die zum Europa der Aufklärung gehörende Pressefreiheit wurde von vielen bedachten politischen Akteuren immer schon gegen verantwortungslosen Missbrauch und auch „niveaulose Texte“ verteidigt. Über lange Zeit hinweg galt Presse- und Meinungsfreiheit als ein Gut, welches unmittelbar mit „Verantwortung“ und mit „Pflichten“ verknüpft war.

Unabhängig einer Politik wie die des Herrn Erdogan galt es, die „Würde des Menschen“, auch die des Politikers anderen Freiheiten gegenüber zu priorisieren. Satire, was immer sie eigentlich ist, hatte da auch ihre Grenzen, wo Beleidigung anfing. Dass mit der jetzt vorgenommenen Infragestellung entsprechenden Rechts ändern zu wollen und Beleidigung von öffentlichen Persönlichkeiten geradezu Tür und Tor zu öffnen, ist eine Entwicklung, die dem was u.a. Pressefreiheit einmal sein sollte, vollends entgegenläuft. Die Beleidigung von Staatsmännern und die damit verbundenen Rechtskonsequenzen aus dem Bewusstsein für „Anstößiges“ zu löschen, ihr quasi Legalität einzuräumen, ist Ausdruck eines Verfalls dessen, was man auch „Anstand“ nannte und auch Teil von staatsbürgerlicher Verantwortung war.

Die Würde des einzelnen Menschen zu respektieren, auch die des türkischen Staatspräsidenten, und die Politik von Herrn Erdogan zu verurteilen, sind zwei verschiedene Dinge.

Mit Herrn Erdogan Vereinbarungen in Sachen Flüchtlingspolitik zu treffen, diese moralisch auch noch zu rechtfertigen und dann ihm zuzumuten, Beschimpfungen und Schmähungen jeder Art hinnehmen zu müssen, ist Ausdruck einer noch anderen Art von Verfall von Moral und staatsbürgerlicher Verantwortlichkeit.

Wenn die deutsche Bundeskanzlerin jetzt die Sache der Justiz übergeben hat, um urteilen zu lassen, ob es sich hier noch um Satire oder schon um Beleidigung handelt, zeigt das – mag man zu Frau Merkel stehen wie man will – so etwas wie Haltung. Alle anderen, die sich jetzt hinter Herrn Böhmermann stellen, einschließlich der Politiker, die noch vor kurzem mit Frau Merkel in Sachen Flüchtlingspolitik alle Geschäfte mit Herrn Erdogan moralisch für vertretbar befunden haben, wissen offensichtlich nicht mal mehr, was Haltung überhaupt ist. In der  gegenwärtigen Situation Europas mit primitiven und auf Sensation ausgerichteten Effekten an die Öffentlichkeit zu treten, das dann kurzerhand Kunst zu nennen, zeigt, dass man über so etwas wie „Verantwortlichkeit gegenüber dem eigenen Staat“, gegenüber dem, was höher wiegt, als das was einem selbst wichtig erscheint, nicht verfügt.

Nicht weniger fragwürdig erscheint, sich auf Regierungsebene vorgegebenem Reglement entsprechend für eine gerichtliche Prüfung des Sachverhalts zu entschließen und gleich danach zu bekunden, dass man eben diesen danach miteinander verabredeten Regeln getroffenen Beschluss für falsch hält. Die Spitze der SPD beweist hierbei auch nur, dass sie, wie Herr Böhmermann immer so etwas wie ein Bewusstsein für das Gesamtgesellschaftliche, für das, was außer Opportunismus noch gilt, was man ein Verständnis für ethisches Handeln nennen könnte, eben nicht hat.

Die Würde des Menschen, Takt, und die Pflege einer Ausdrucksweise, die das Primitive abgelegt hat, sind Werte, die der Freiheit, das zu sagen und zu tun was einem gerade opportun erscheint, übergeordnet sind. Sich dem bewusst zu sein, zeichnet Zivilisation aus. Die Freiheit der Presse und der Kunst waren einmal in diesem Zusammenhang gedacht.

 

21.04.2016 Dr. S. Serafin

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