Anmerkungen zu einem fortwährenden Diskurs
Nicht erst aus aktuellem Anlass aber spätestens seit den terroristischen Anschlägen in Paris jetzt im November wird wieder vermehrt über das „Für und Wider“ militärischer Maßnahmen, d. h. der Anwendung von Gewalt als geeignetes Mittel zur Lösung von Konflikten diskutiert.
Besondere Brisanz kommt diesem Thema insbesondere in Zusammenhang mit der jetzt allerorts geforderten Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingsströme nach Europa zu. Dem liegt die unstrittige Feststellung zugrunde, dass eine der wesentlichen Fluchtursachen in der ungezügelten Gewalt insbesondere terroristischer Gruppierungen gegen Zivilisten und staatlicher Organe in vielen Herkunftsländern der Flüchtlinge auszumachen und dieser mit ausschließlich politischen Mitteln nicht beizukommen sei. Von anderer Seite wird dazu angeführt, dass insbesondere die jüngste Geschichte gelehrt habe, dass die Anwendung militärischer Gewalt wenig effektiv sei bzw. die Gegebenheiten im Einzelfall eher verschlechtert hätten, ohne einen Konfliktherd wirklich zu befrieden. Mit Verweis u.a. darauf hat sich insbesondere Deutschland in den letzten Jahren der Beteiligung an militärischen Maßnahmen seiner Bündnispartner auch gegen despotisch und terroristisch agierende Regime entzogen. Obwohl in Deutschland den aktuellen Umfragen zufolge wohl zwischenzeitlich ca. die Hälfte der Bevölkerung sich auch für den Einsatz der Bundeswehr zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten ausspricht, gibt es immer noch ein wortstarkes Lager derer, die den Einsatz von Gewalt überhaupt zur Bekämpfung von Gewalt z. B. in Syrien oder dem Irak ablehnen. Dabei kommen Argumentationsschemata ins Spiel, in deren Mittelpunkt auch die Behauptung steht, militärische Mittel hätten sich bei der Lösung von Konflikten auf internationaler Ebene noch nie bewährt.
Erstaunlich ist dabei, dass die Verfechter dieser Ansicht in der Regel aber auch kein Beispiel nennen können, wo denn das Gegenteil – nämlich die Lösung eines bedeutenden ausweglos erscheinenden Konflikts auf der Weltbühne – in den letzten 50 bis 100 Jahren nachweislich primär mit politischen und diplomatischen Mitteln gelungen sei.
So hat z. B. noch niemand ernsthaft angeführt, dass das nationalsozialistische Regime in seiner expansiven und aggressiven Politik gegenüber seinen Nachbarstaaten letztlich durch Diplomatie oder wirtschaftliche Sanktionen gestoppt worden sei, noch dass ein solches Unterfangen überhaupt eine Chance gehabt hätte. Auch hat noch niemand überzeugend darlegen können, wie man hätte Japan mit seinen Expansionsgelüsten in den 1940er Jahren allein politisch und diplomatisch in die Knie zwingen können. Von denen, die militärische Einsätze verabscheuen, wird wohl auch keiner schlüssig darlegen können, wie man z. B. die Besetzung Südkoreas durch Nordkorea in den 50er Jahren politisch statt durch den beherzten militärischen Einsatz der Vereinten Nationen und der USA hätte beenden können, wenn man nicht gleichsam der Vorherrschaft des kommunistischen Nordens über ganz Korea zugestimmt hätte. Dass Israel noch als Staat existiert – das ist wohl weitgehend unstrittig – ist wohl in erster Linie seiner mehrfach unter Beweis gestellten militärischen Überlegenheit gegenüber seinen Nachbarn zu verdanken. Eines der schlimmsten Terrorregime der Nachkriegszeit in Kambodscha ist 1979 durch die Nordvietnamesen militärisch beendet worden. Das Ende der Besetzung Kuweits durch die Iraker ist Ergebnis einer beherzten militärischen Aktion der USA im Verbund mit einigen Nato Verbündeten und arabischen Staaten 1991. Das Terrorregime der Taliban in Afghanistan ist 2001 durch eine von den USA angeführte militärische Allianz entmachtet worden. Nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern auch die Beendigung einer ganzen Reihe von bedeutenden Kriegsverbrechen gegen sein Volk durch die Serben verdankt Bosnien letztlich den militärischen Einsatz der Nato gegen Serbien Mitte der 90er Jahre. Das Ende der Gewaltherrschaft Gaddafis in Libyen 2011 ist im Wesentlichen Ergebnis einer kurzen, aber effektiven militärischen Aktion insbesondere Frankreichs und einiger mit ihm verbündeter und befreundeter Länder.
Während es im Zuge der Beendigung des 2. Weltkriegs in Europa und weiten Teilen Asiens zu einer politischen Neuordnung über Jahrzehnte hinweg konstruktiven friedlichen Entwicklung kam, gelang es der Politik bisher nicht, die in Afghanistan, im Nahen Osten und Nordafrika durch militärische Interventionen hergestellten Verhältnisse längerfristig zu stabilisieren. Insbesondere im Irak und Libyen haben sich nach der militärischen Zerschlagung der dort herrschenden Regime bis jetzt keine eindeutig tragfähigen Staatsformen entwickeln können. Auch in Afghanistan drohen die durch die militärischen Anstrengungen der Amerikaner und ihrer Verbündeter in 2000 erreichten Befriedung des Landes wieder dem Zerfall ausgeliefert zu sein.
In all den hier aufgeführten historischen Beispielen haben es politische Einflussnahmen meistens in Kombination mit dem Versuch wirtschaftlicher Sanktionen nicht vermocht, Konflikte präventiv bevor es für die in der Region betreffenden Menschen zu unzumutbaren Belastungen gekommen ist, zu lösen. Im Irak hat es für die Zeit nach der sicherlich fragwürdigen Besetzung durch die USA und ihrer Verbündeten in 2003 keinen Plan gegeben. In Libyen hat sich bisher noch keine das ganze Land umfassende politische Ordnung mit staatlicher Autorität installieren lassen. Der Vietnamkrieg in den 50er bis 70er Jahren (auf den oben noch nicht eingegangen wurde), ist ein Beispiel für die völlige Entkopplung politischer Vernunft von militärischer Logik. Die Schlussfolgerungen, die Historiker bis heute aus dem Konflikt in Südostasien vor über 40 Jahren ziehen, sind immer noch widersprüchlich. Die lange Besetzung Vietnams und angrenzender Länder hintereinander durch die Franzosen und Amerikaner, d. h. fast 30 Jahre Militärherrschaft ohne ausreichenden Rückhalt in der Bevölkerung ist zumindest aus heutiger Sicht wohl nur militärisch schlüssig. Die Amerikaner konnten ihre Vormachtstellung hier bis in die 70er Jahre sichern. Für die Politik der USA in Südostasien war der militärische Einsatz der USA ein Desaster.
In Hinsicht auf Syrien und den Irak zeichnet sich aktuell ab, dass ohne den Einsatz militärischer Mittel den Umtrieben terroristischer Gruppierungen dort nicht beigekommen werden kann. Dem Gewaltansinnen islamistischer Vereinigungen wie dem sogenannten Islamischen Staat ist mit Diplomatie nicht entgegenzuwirken. Zu meinen, man könnte durch Geschlossenheit in den Reihen zivilisierter Staaten und durch wirtschaftliche Sanktionen gewalttätigen Bewegungen wie die, um die es hier geht, wirksam entgegentreten, basiert auf Realitätsverkennung.
Macht und das Bestreben, sich dieser ggf. in welcher Form auch immer zu bedienen und sie dann auch über andere auszuüben, egal mit welchen Mitteln, ist Wesensmerkmal des Primitiven, das was den nicht kultivierten Menschen auszeichnet, was vielleicht zur entfesselten Natur des Menschen überhaupt gehört. Politik kann nur da wirksam werden, wo es ein unter allen Beteiligten ähnliches Verständnis von dem gibt, worauf es ankommt, was für alle gilt und was insgesamt von Wert ist. Da, wo sie Interessen dann in Einklang zu bringen oder zumindest auszugleichen vermag, kann sie erfolgreich sein. Da, wo sie es mit Kontrahenten zu tun hat, die ein Bewusstsein dafür haben, was letztendlich zu allererst für geboten erachtet erscheint und was keinesfalls riskiert werden darf, wird sie erfolgreich sein.
Um mit Gewaltfreiheit und Diplomatie etwas ausrichten zu können, bedarf es eines Mindestkonsens über das, was im Falle eines Konflikts von den Konfliktpartnern zur Austragung des Konflikts akzeptiert wird. Diese Zusammenhänge zu würdigen war u.a. der Hintergrund zum Zustandekommen der Genfer Konvention. Der Einsatz militärischer Mittel zur Verteidigung der Menschenrechte und zur Selbstverteidigung eines Staates ist in einem komplexen Reglement der Vereinten Nationen festgelegt. Bündnisstatuten und das Völkerrecht disziplinieren spätestens seit Ende des 1. Weltkriegs zusätzlich das, was die Anwendung von Gewalt im Verhältnis von Staaten untereinander betrifft. Dem letztendlichen Einsatz militärischer Mittel im Rahmen internationalen Rechts verdanken heute viele Völker und Staaten ihre Existenz, Despoten und Terrorregime ihren Untergang. Ein durch die Völkergemeinschaft oder durch internationales Recht nicht ausreichend gedeckter Einsatz militärischer Gewalt ist politisch und ethisch nicht zu rechtfertigen. Eine pazifistische Grundhaltung, die den Machtanmaßungen einzelner, gewalttätiger Gruppen und Staaten anderen und ganzen Völkern gegenüber prinzipiell nicht mit Gewalt begegnen will, ist moralisch nicht weniger problematisch. Die Behauptung vieler Verfechter einer „unbedingten Friedenshaltung“, dass der Einsatz militärischer Mittel ungeeignet sei, Konflikte zu lösen, entspricht nicht dem geschichtlichen Geschehen. Als ungeeignet hat sich häufig das erwiesen, was die Politik in militärischen Fakten hat folgen lassen. In Afghanistan war es die Unfähigkeit, die durch den militärischen Einsatz der Amerikaner und ihrer Verbündeten geschaffenen Voraussetzungen zu nutzen, dem Land eine Ordnung zu geben, was dem römischen Reich gelungen war, und was selbst Napoleon vermochte. Militärische Machtausübung war eingebettet in eine politische Vision auf der Basis eines dem heutigen westlichen Werteverständnis nicht gänzlich fremden Wertekodex. Sie war getragen von einem Bekenntnis zu einem heute noch in seinen Grundzügen hier geltenden Recht und zum Fortschritt. Vernunft, Recht und die Bereitschaft, alle damit verbundenen Werte wenn es sein muss, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, zeichnet Zivilisiertheit aus. Zivilisiertheit auch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen, gehört dazu. Ohne das primitivisieren wir sehr schnell. Um das zu verstehen, muss man sich in der zivilisierten Welt auch auskennen und man muss wissen, was sie einem Wert ist und wie weit man gehen will, um sie zu erhalten.